Auf dem Weg von San Diego dämmerte es, das Hügelland rechts neben dem Highway wurde immer dunkler bis wir durch einen schwarzen Neumondabend fuhren. Ohne jede Vorbereitung erstreckte sich ein Lichtermeer soweit das Auge reicht, fast über die ganze Leinwand. Nur am oberen Rand blieb vom Himmel ein schwarzer Streifen. Das Hotel lag an dem Knotenpunkt zwischen dem Highway 10 und 2. Als ich zum Rauchen auf den Balkon ging, hatte sich die Zigarette erübrigt. Jeder Atemzug brachte genügend Schadstoffe in die Lunge. Wir wollten nicht ins Hotelrestaurant, sondern etwas sehen von der Stadt, irgendwo anders hin. Offenbar war gerade eine Veranstaltung in einem Kongresssaal des Hotels zu Ende. Die Frauen, die durchs Foyer strömten, sahen für Studentinnen zu angegriffen aus und zu jung für etwas anderes. Das Auto ließen wir stehen und gingen in der Hoffnung irgendwo ein bisschen frische Luft zu erhaschen durch Nord Hollywood. Jeder, der schon in LA war, lacht jetzt natürlich. Kein Mensch ging zu Fuß, wir merkten das auch nach ein paar hundert Metern. In der Nacht wurden meine Träume von Sirenengeheul durchzogen. Als wir am nächsten Morgen zu unserem Termin fuhren, wurde an einer Straßenecke ein Film gedreht. Man sah es an den zwei Kameras, die sich in verschiedenen Winkeln langsam über die Straße bewegten. Die Autos vor uns umkurvten die Kameramänner so selbstverständlich, dass es uns peinlich gewesen wäre stehen zubleiben und zuzuschauen. Die Frau des Geschäftspartner wirkte attraktiv und als Ehegattin geradezu professionell, während sie uns bewirtete und Konversation trieb. Das Geschäftliche interessierte sie keinen Deut, aber als sie uns Mineralwasser mit viel Eis servierte, schien ihr das übermäßig peinlich zu sein. "Europäer mögen nicht so viel Eis." Wir stimmten zu. Ich fragte, woher sie das wusste. Nein, sie war noch nie in Europa gewesen. Ich ging mit ihr in den Garten, den sie selbst gestaltet hatte. Weiße Rosen, Wasserfall, Jasmin und Oleander, ein Traum. Ich meinte, dass ihr das Gärtnern sicher viel Freude machen müsse. Früher ja, jetzt ginge sie kaum mehr hinaus. Warum, fragte ich. Von der weißen Rosenhecke, sie war gerade dabei gewesen sie zu beschneiden, war eine kleine Klapperschlange heruntergehangen, eine Babyklapperschlange, sie hätte sie beinahe berührt. Seitdem hatte sie einen Gärtner, der mache alles. Am nächsten Tag hatten wir keinen Termin. In der Zeitung stand, dass die Enkelin des Bürgermeisters in der Nacht erschossen worden war. Von einem fahrenden Auto aus. Es ging wirklich niemand zu Fuß in Los Angeles. Zumindest nicht lange. In Beverly Hills kaufte ich in einem Drugstore eine ganze Tüte voll hochwirksamer spottbilliger Vitamine und anderer Jungbrunnenmittel und wurde von dem Inhaber aufgeklärt, dass Manfred von Richthofen sein Freund sei. "Really?!" antwortete ich ohne zu zögern. "Oh, great, that is really great". Vor der Tür fragte ich meinen Kollegen, wer das sei. Ich fühlte mich sehr gut angepasst und völlig heimisch. Da mein Kollege keine Passion fürs Einkaufen hat, gingen wir in ein Cafe. Die Bedienung sah aus wie ein Star, perfekt schön und strahlend. Sie war ausgesprochen liebenswürdig zu jedem. Die Leute am Nebentisch sahen mir kurz und prüfend ins Gesicht. Alle sahen mich so an, kurz und prüfend. Und ich sah jeden so an. Möglicherweise war es ja ein Filmstar oder ich war einer oder der Mann am Nebentisch. Nachdem wir in ein anderes, ruhigeres Hotel eingecheckt hatten, bummelte ich durch die Fußgängerzone in Santa Monica. In einer Kunstbuchhandlung suchte ich vergeblich nach schönen Postkarten.
Die einzigen, die ich fand, zeigten Gemälde, die in der London Gallery of Arts hingen. Als ich aus dem Laden ging, hörte ich den Trommler. Ein Junge, der auf alle möglichen Küchenutensilien aus Blech einhämmerte, Töpfe, Waschbrett, Reibe, solche Dinge. Aus einem leeren Pappbecher und einer Papiertüte, die der Wind anwehte, wurden die merkwürdigsten Zischlaute herausgeprügelt. Der Junge hieb mit einer schwerelosen, kraftvollen Konzentration auf alles ein, was sich ihm bot. Lange stand ich in dem ungeliebtem Wind und
hörte zu. Das neue Hotel kannte ich schon aus einem Film. Bruce Willis sitzt in einem dieser Hotelzimmer, hat Eheprobleme mit Michelle Pfeiffer und wartet bis die Zeit vergeht und er wieder heim kann. Wir gingen an den Strand. Zu Fuß. Leider waren wir wieder nicht ganz im Takt der Stadt, da wir nicht joggten. Der Strand vor Santa Monica ist breit und der geteerte Weg für Jogger, Skater und Walker scheint endlos. Wir gingen immer weiter dem Sonnenuntergang nach bis es dunkel wurde. Plötzlich waren alle weg. Die eineinhalb Stunden zurück zum Hotel joggten wir auch. Dieser plötzliche Rückzug bei Einbruch der Dunkelheit ist allgegenwärtig, am härtesten traf mich die Verwandlung des Walk of Fame, wo tagsüber Touristentrauben enthusiastisch alles photographieren, was ihnen vor die Linse kommt, verklebte Kindermünder rufen, alte Leute sich am Ärmel zupfen und sagen: "Kuck mal, das ist der Fußabdruck von Joanna Woodward, schau nur, wie klein er ist." Der ganze Walk of Fame ist ein einziges Volksfest. Bis es dämmert. Eine Sekunde später sind alle weg. Leider ist die Straße deswegen nicht menschenleer. Genauso schnell wie die einen weg sind, sind die anderen gekommen. Okay, ich hatte Angst. Bei Pretty Woman sieht das alles so nett aus. Das ist es nicht. Nach ein paar Tagen war ich mir ziemlich sicher, dass das Joggen in Los Angeles erfunden wurde, als geeignetste Bewegungsform auf der Flucht vor der Dämmerung. Natürlich kann ich nichts Vernünftiges über Los Angeles schreiben, ich weiß nur, dass es riesig ist
und dass für die Leute dort nur die Zukunft zählt, nicht die reale, sondern ihr Traum von der Zukunft. Und dass die Kriminalitätsrate enorm ist. Ein Filmstar soll gesagt haben, es sei sehr schwer in der LA religiös zu sein. Ich bin nicht seiner Meinung. Gerade in Los Angeles gibt es viele gute Gründe religiös zu werden. Beispielsweise, wenn du älter wirst ohne ein Star geworden zu sein. Oder wenn du dich anfängst zu fragen, wozu es Straßenbeleuchtung gibt, wenn du am Abend eh nicht auf die Straße kannst. Man kann
natürlich genauso gut verrückt werden. Das hat auch seinen Reiz.
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