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Penökien (ein Fragment)
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Frank Ruf
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Auf einer Halbinsel im südostasiatischen Meer lebt das kleine Volk der Penöken. Sie sind seit alters dort ansässig und haben sich in all der Zeit nur wenig mit anderen Völkern vermischt.
Das milde und beständige Klima der Region eignet sich ideal für die Muschelzucht, und Ausgrabungen zufolge begannen die Penöken vor rund dreieinhalbtausend Jahren damit. Eine versteinerte Holzeinfassung, von der Fläche so groß wie eine Bambushütte, wurde in einem küstennahen Moor entdeckt, und gilt als frühester Beleg dieses Handwerks.
Der Wohlstand der Penöken wuchs. Im späten Mittelalter gemäß ihrer Zeitrechnung, es war unter der Herrschaft des Königs Nan-pou, wechselte der letzte Reisbauer zur Muschelzucht über. Aus Freude darüber setzte man einen Feiertag fest, der jedes Jahr mit einem großen Reisessen begangen wird, zu dem Gegrilltes, die penökischen Obstsorten Preja und Lou, und jede Menge einer Mandel-Honig-Creme – das Lieblingskonfekt des Königs Nan-pou – gereicht werden. Dabei ist es Sitte, den Reis für das Festtagsgericht selbst gezogen zu haben. Daher findet sich in dem typisch penökischen Vorgarten stets eine schmuckvoll eingefaßte Reispflanzung. Dieser einheimische Reis ist runder und härter im Biß als die importierten Sorten, so daß er geradezu als Verwandter des Volkes angesehen wird, dem man auch deshalb einen Platz im Wohnbereich der Menschen zugestehen sollte.
Als junger Mann bin ich mitten in die Umwälzung hineingeraten, die dieses Volk damals erfaßt haben muß, wie die heute verblaßte Erinnerung es sich erlauben sollte, diese Zeit anzusprechen, – wenn sie nach den vergangenen großen Bewegungen tastet.
Eine Kolonialherrschaft, Unruhen und Armut, wirtschaftliche Ausbeutung und später die neue Freiheit zusammen mit der nun vorzufindenden Industriealisierung. Die Zeit der Fremdherrschaft brachte die Muschelzucht an den Rande des Ruins, da die Produktionssteigerung den Lebensrhythmus der Muscheln überspannte und aushöhlte, und fast wären die Tiere ausgestorben. In Folge dieser katastophalen Zustände erlebte das Handwerk der Muschelzucht seinen Niedergang nur noch rascher als dies angesichts der neuen Techniken ohnehin geschehen wäre.
In der Provinz Nong-Wey, einem ländlichen Abschnitt, geprägt durch einen in der sonst flachen Landschaft einzigartigen und in der penökischen Malerei oft dargestellten Gebirgszug, dem Won-ji, lernte ich den Muschelzuchtmeister Wu kenne. Das Dorf, in dem Wu wohnte, war eine gewachsene Gemeinschaft, die die Traditionen pflegte und erst in der Zeit meiner Ankunft mit den neuen Dingen in Berührung kam. Dort erlebte ich das "Fest des letzten Reisbauern", wie sie es nannten, die verschiedenen religiösen Bräuche, oder den Muscheltag, an dem jede Familie, und die Kinder führen es aus, eine Perle dem Meer übergibt. Ich lernte bei Wu.
In den Anfangstagen, als unsere Verständigung noch große Mittel brauchte, streckte er mir eines Morgens, nachdem wir das Prejamuß gegessen hatten, plötzlich die ockerfarbene, offene und gespreizte Hand vors Gesicht: Dunkel zusammenlaufende Linien, hellhäutige Erhebungen und ein blankgescheuerter Ring. Wir sahen uns eine Weile in die Augen, dann nahm er meine Hand und legte eine Holzkugel, die auf dem Tisch in einem Schälchen zu liegen pflegte, in sie hinein.
Das Meer, so blau als grün, beherbergt die Muschelbänke. In einer Holzeinfassung, die bei Ebbe noch knöcheltief mit Wasser bedeckt ist, sitzen die Penöken in dichter Nachbarschaft an den Wänden und funkeln schwarz-silbern im Sonnenlicht. Die jungen Muscheln, genannt Penö-kily, noch deutlich flacher und heller und mehr rauchblau und weiß, lassen sich oftmals vom Untergrund lösen und an eine andere Stelle setzen. Freilebende Penöken schwimmen im Alter von einem halben Jahr mehrere wochenlang im Meer, ehe sie sich niederlassen. Dann verdunkelt sich das Streifenmuster, der Schalenkörper wird rundlicher und eine feine rote Linie schimmert an Ober- und Unterkante der beiden Schalen, dort, wo sie sich berühren. Die erste Perle läßt sich nach drei Jahren ernten. Es ist die Penöka. Sie ist größer als alle folgenden und weicher, sehr milchig, und gibt einen matten Klang. Unbearbeitet hat sie den geringsten Wert, und heißt in diesem Zustand "weiße Geburtsträne des Meeres", Pemira.
Ein geübter Schleifer vermag jedoch Erstaunliches zu vollbringen: entfernt er die oberste Schicht der Perle nach einer Lagerdauer von mindestens weiteren 2 bis 3 Jahren, zeigen sich farbige Einlagerungen in dem ansonsten milchfarbenen Material. Diese Einlagerungen können wie ein Netz aus Adern um die ganze Kugel laufen und sind dann meist einfarbig, etwa rot oder violett, meist dunkle kräftige Farben.
Bei anderen Perlen gibt es Farbflächen, die an eine Insellandscheft oder den bewölkten Himmel denken lassen, und meist in zartem gelb oder orange schimmern. Jede dieser Einfärbungen ist jedoch hauchdünn. Ein Schleifstein, der nur ein wenig zuviel an die Perle gedrückt wird, feilt in das Muster ein Loch. Zuweilen, doch selten genug, liegen zwei Schichten untereinander. Hat man oben das Fleckenmuster, kann in den Zwischenräumen das untere Muster herausgearbeitet werden. Liegt die viel enger zusammenstehende Netzstruktur oben, teilt man die Perle gerne in zwei Hälften oder verleiht ihr Ringe.
Solche Stücke kosten dementsprechend gutes Geld. Die Schwierigkeit besteht nur eben darin, heruszufinden, ob es denn zwei Schichten gibt. Der eine versucht es über das Gewicht, ein anderer notiert Herkunft und Lebensbedingungen seiner Zucht, und ein dritter schaut in seinen Geldbeutel, ob er das Risiko eingehen will. Schließlich muß der Schleifer in jedem Fall bezahlt werden, der gewöhlich eine von zwölf Perlen, die man in seine Hände gibt, behält.
Auf die Penöka folgen nun 7 bis 8 weitere Perlen, in sehr seltenen Fällen bis zu 20. Diese Perlen, die Ernapen, sind in der Regel frei von einem Muster, und sollte sich dennoch eines finden, so ist es fragmentarisch. Nach und nach steigen dagegen die Klarheit und der Härtegrad. Eine grünblau gläserne Ernape ist der häufigste Fall. Das Grünblau zieht sich dabei durch den ganzen Körper in schleierartigem, wechselvollem Spiel, und nur ganz späte Perlen sind gleichmäßig. Ab der 15. oder 16. Ernape darf eine farblose, völlig klare Kugel erwartet werden, die fast wieder an die Größe einer Penöka heranreicht, und die jeweils letzte Frucht einer so außergewöhnlich ergiebigen Muschel, die Pan, "ist härter als ein Dickschädel und schärfer als der Augapfel", wie die Penöken sagen.
So vergingen die Tage mit Wu. Mit Stohhüten, hochgekrempelten Hosenbeinen und salzfeuchten Armen, wobei meine bald fast so braun wie seine geworden waren, standen wir in unseren Becken. Da nur wenige Muscheln nach der Penöka noch Perlen erbringen, gilt die besondere Pflege den tragenden Tieren. Dennoch darf man nicht denken, die Ertraglosen seien nutzlos. Eine dicht gewachsene Muschelbank, die gut zur Sonne und im Wasser steht, begünstigt jedes einzelne seiner Exemplare. Das Verhältnis der tragenden und nichttragenden Muscheln beträgt etwa 1 zu 20, und eine Veränderung dieses Gleichgewichts beeintächtigt alle gleichermaßen. Als ich mit Wu vor einer der prachtvollsten Kolonien im Sand nach Schnecken grub, hielt er mir, nachdem er ein Tuch hervorgezogen hatte und behutsam etwas reinigte, eine Perle vor. Klein, von eigenwilliger Form, aber sehr klar und gläsern und mit dünnen Farbformationen im äußeren Bereich. Ins Licht gehalten drehte er sie und deutete mit dem Finger auf
Unterbrechungen des Musters, wo man wie durch Fenster in die Perle hineinsah. Die Unterbrechungen waren vom hellsten auf der Perle vorfindbaren Material umrandet, als hätten sie einen Rahmen aus Glas. "Pan-li", sagte Wu. Die zweite und zugleich letzte, bei einigen nichttragenden Muscheln auftretende Perle. Finden sich in einer Kolonie Pan-li, ist das ein untrügliches Zeichen für gutes Gedeihen.
Wir liebten es, lange in den Abend hineinzuarbeiten, bis das Sonnenlicht dicker und trüber wurde und sich rötlich an die Wolken warf. Dann gingen wir den Strand hoch, stellten die Werkzeuge ab, wuschen uns und wanderten ein kurzes Stück den bewaldeten Hügel hinauf, der sich alsbald nach den Sandstreifen erhob. Zon-moro, ein guter Freund von Wu, wohnte auf halber Höhe in einer alleinstehenden Hütte. Blühende Obstbäume, zum Trocknen aufgehängter Tabak an Schnüren, einige schlafende Katzen, und ein nach Freßbarem suchendes Äffchen schienen nie gefehlt zu haben. Die Terrasse lag im Halbschatten und bot einen durchwachsenen Blick aufs Meer. "Tee?" begrüßte er uns oft lachend, und der kleine rundlicher Mann mit kahlgeschorenem Kopf trat auf uns zu.
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